Die Pest im Bild

Christine M. Boeckl hat sich eingehend mit der visuellen Umsetzung der Pest in der Barockzeit (1575-1770) und deren Inhaltsdeutung auseinandergesetzt. Vor allem hat sie sich die Frage gestellt, wie der (kranke) menschliche Körper auf religiösen Bildern im Barock abgebildet und wahrgenommen wurde. Die Ergebnisse ihrer Forschungen, die sie auch bei einer Tagung in Wien vorstellte, hat sie uns für die virtuelle Ausstellung zur Verfügung gestellt.

Der Inhalt von Bildern
Die Darstellung der Pest in der bildenden Kunst durchlief in unserem Kulturkreis Phasen unterschiedlicher Konventionen. Das heißt, dass zu verschiedenen Zeiten (sowie an verschiedenen Orten) derselbe Bildinhalt „Pest“ auf unterschiedliche Art und Weise ausgedrückt wurde. Zeitgenossen, die mit diesen Bildern vertraut waren, konnten sie verstehen und deuten.
In der Kunstgeschichte nennen wir die Methode, Darstellungskonventionen zu erkennen und zu lesen, Ikonografie und mit ihr ist es uns auch heute noch möglich, die Bilder von damals zu verstehen.

Das Konzil von Trient
In der katholischen bildenden Kunst der Barockzeit werden Auswirkungen des Konzils von Trient sichtbar, bei dem sich die Kirchenvertreter Mitte des 16. Jahrhunderts unter anderem darauf geeinigt hatten, dass christliche Kunst nichts Unsittliches, Lüsternes, bisher Ungewohntes, Unschickliches oder Abergläubisches enthalten solle (Sessio XXV). Der menschliche Körper hatte für das Leben nach dem Tod keine Bedeutung mehr, seit in der päpstlichen Bulle Benedictus Deus 1336 festgelegt wurde, dass die Seelenbeschau sofort nach dem Tod stattfinden würde und die Verstorbenen nicht bis zur Wiederkunft Christi im Fegefeuer verweilen müssten. Eine Lehre, die auch das Konzil von Trient aufrecht erhielt.

Um die Schicklichkeit der religiösen Bilder zu wahren, wurden in der Barockzeit kaum Pestbeulen verwendet, um einen Pestkranken darzustellen, sondern die Betrachter mit standardisierten Gesten auf die Krankheit aufmerksam gemacht. Die treibende Kraft hinter der barocken Kunst waren italienische Künstler, deren Umsetzung der Thematik auch ihren Weg nach Mitteleuropa fand.

Die Pest im Bild
Mit der ersten Pestepidemie 1347 beginnt auch die Bildtradition der hochansteckenden Infektionskrankheit, die bis ins 18. Jahrhundert immer wieder ausbrach.
Die aus unserer Sicht naturgetreuesten Darstellungen von Pestbeulen und anderen Krankheitssymptomen, finden wir auf Bildern aus der Zeit zwischen 1450 und 1500. Bemerkenswert hierbei ist, dass es sich dabei keineswegs um Illustrationen aus medizinischen Schriften handelte, sondern um erzählende, religiöse Bilder.
Dieses Bild aus dem Ende des 15. Jahrhunderts zeigt Rochus, dem Schutzpatron der Pestkranken, dessen Pestbeule am Oberschenkel von einem Engel mit einem chirurgischen Instrument aufgestochen wird. Die Wiedergabe der Pestbeule ist auf diesem religiösen Bild sehr naturgereu gehalten.

Rochus
Abb. 1: Rochus wird von einem Engel geheilt
ca. 1490

Gesten statt Beulen
Schon im 16. Jahrhundert begannen Künstler die Krankheit nicht mehr durch ihre charakteristischen Symptome auszudrücken, sondern durch Gesten der abgebildeten Personen.

IlMorbettoAbb. 2: Marcantonio Raimondi, Il Morbetto, Kupferstich, ca. 1520, Stuttgart, Staatsgallerie

Auf dem um 1520 entstandenen Kupferstich „Il Morbetto“ von Marcantonio Raimondi, ist rechts unten eine tote Mutter mit ihrem noch lebenden Kleinkind zu sehen. Den Betrachterinnen und Betrachtern des Bildes wird durch die abwehrenden Gesten der umstehenden Personen verständlich gemacht, dass die Frau an der Pest verstorben sein muss.

Poussin Plague at AshdodAbb. 3: Nicolas Poussin, Die Pest in Ashdod, Öl auf Leinwand, 1630, Paris, Louvre

Eine Bildtradition, die sich bis in die Barockzeit fortsetzt, wie das Bild „Die Pest in Ashdod“ aus dem Jahr 1630 zeigt. Nicolas Poussin erzählt in diesem Werk die Geschichte der frühesten überlieferten Pestepidemie. Weil die Philister die Bundeslade vom Volk Israel gestohlen hatten, wurden sie mit der Krankheit gestraft. Die Pest wird auch hier wieder mit der Figur einer toten Mutter und ihrem noch lebenden Kind verdeutlicht, während sich die umstehenden Personen abwenden oder sich die Hände schützend vor ihre Gesichter halten.
Die Farbe der Toten im Bild ist fahl und unterscheidet sie eindeutig von den Lebenden. Der Körper hatte in der christlichen Dogmatik nach der schon erwähnten Bulle Benedictus Deus nach dem Tod seine Bedeutung verloren, da ihn die Seele augenblicklich verlässt. Deswegen ist auch der Umgang mit den Leichnamen – im Gegensatz zur protestantischen Lehre – sorgloser geworden. Die Körper wurden im Moment des Todes entbehrlich.
Klaus Bergdolt sieht in diesen Entwicklungen in der bildenden Kunst die Etablierung eines Pestalltags. Auf jeden Fall ist festzustellen, dass der krasse Gegensatz zwischen den verwesenden Toten und den Lebenden der zeittypischen Memento Mori-Einstellung entspricht.[1]

Eine schonungslose Darstellung
Christine M. Boeckl fand jedoch auch Darstellungen, die der konventionell barocken „entschärften“ Visualisierung der Pest widersprechen.

Luca Giordano, Heiliger Januarius von NeapelAbb. 4: Luca Giordano, Der heilige Januarius von Neapel betet für die Opfer der Pest 1656, ca. 1660, Neapel, Palazzo Reale

Die Entbehrlichkeit des menschlichen Körpers nach dem Tod wird besonders auf einem Bild Luca Giordanos aus der Zeit um 1660 gezeigt, das den Heiligen Januarius von Neapel zeigt. Die schonungslose Darstellung der toten Körper steht sicher nicht unter dem Stern der vom Konzil von Trient geforderten Schicklichkeit. In der unteren Bildhälfte stapeln sich verfärbte Leichen, die deutliche, von der Krankheit und ihrer Behandlung verursachte, Wunden aufweisen. In starkem Kontrast zu dieser trostlosen Realität steht die obere Bildhälfte, die den Heiligen Januarius, die Jungfrau Maria sowie Christus enthält. Der himmlische Teil des Bildes ist in strahlenden Farben gehalten und scheint zu sagen: „Nach dem qualvollen Tod wartet der Himmel auf euch!“

Wie der menschliche Körper im Barock wahrgenommen wurde, konnte diese Bildauswahl in Verbindung mit der vorherrschenden theologischen Lehre zeigen, und uns dem Verständnis der barocken Zeitgenossen einen Schritt näher bringen.

 

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[1] Klaus Bergdolt, Die Pest. Geschichte des Schwarzen Todes (C.H. Beck/Wissen, München 2006) 88f.

Abb. 1: zur Verfügung gestellt von Christine M. Boeckl.
Abb. 2: Corinna Höper, Raffael und die Folgen (Ostfildern-Ruit 2001) Abb. 61.
Abb. 3: Alain Mérot, Nicolas Poussin (New York 1990) 59.
Abb. 4: Luca Giordano 1634-1705 (Ausst. Kat. Neapel-Wien-Los Angeles 2001) 139.

Weiterführende Literatur:
Christine M. Boeckl, Images of Plague and Pestilence (Kirksville 2000).
Christine M. Boeckl, Images of Leprosy. Disease, Religion and Politics in European Art (Kirksville 2011).

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